Vom Glück, das ein Augenaufschlag verbreiten kann
Schlaganfall – besonders der Wortteil „Schlag“ trifft es genau: es kommt wie ein Schlag über alle, den Patienten und die Familie, meist völlig unvorbereitet und in der Konsequenz nicht absehbar. Selbst wenn es alte Menschen trifft, ist es schwer, die plötzlichen Veränderungen zu akzeptieren und die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber genau das geht!
Das kann doch nicht sein…
Mein Vater, trotz seiner 78 Jahre mitten im Leben – aktiv in Vereinen, geistig topfit, viel in Bewegung – nie hatte ich mit einem Schlaganfall gerechnet, nie. Und doch: vor vier Wochen ist es passiert, er hat es selbst verspürt, konnte noch gehen und sprechen und von seinen Empfindungen erzählen. Sofort wurde er in ein Krankenhaus mit Stroke Unit gebracht, wir alle dachten, es geht glimpflich aus. Aber wir hatten keine Ahnung von den Komplikationen, die es nach einem Schlaganfall geben kann.
Zwischen Leben und Tod
„Ja, ein zweiter Schlaganfall ist möglich, eine Schwellung im Gehirn auch, aber Sie können beruhigt nach Hause fahren, diese Nacht wird er beobachtet und gut schlafen.“ So haben wir ihn dann im Krankenhaus verlassen, er hat noch gewinkt. Aber das war für über zwei Wochen die letzte Bewegung, die er bewusst ausgeführt hat. Noch in der Nacht wurde eine lebensrettende Not-Operation notwendig, eine zweite kaum sechs Stunden später: das Gewebe im Kleinhirn war derart angeschwollen, dass das Nervenwasser nicht mehr zirkulieren konnte, hoher Druck im Gehirn, drohende Hirnstammschädigung, mögliche Folge: Gehirntod. Nicht mal 36 Stunden nach dem Schlaganfall war überhaupt nichts mehr wie vorher. Was folgte, ist unbeschreiblich: künstliches Koma, diverse Komplikationen, keine Prognosen möglich, der Hirndruck blieb viele Tage zu hoch, die Gefahr, dass er nicht wieder aufwachen könnte, bestand weiterhin.
Im Wechselbad der Gefühle
Man weiß nicht mehr, was man hoffen und wünschen soll. Es fällt schwer, aber bereits im Anfang wurde uns klar, dass wir eine Familie sind, dass wir zusammenhalten und uns gegenseitig Hoffnung geben können! Und wie schön war es auch, meinem Vater so nahe kommen zu können, wie sonst nie: seine Generation ließ Umarmen, Drücken und Streicheln kaum zu – jetzt war dies möglich und gab mir Kraft.
Der erste Augenaufschlag
Das MRT viele Tage später brachte erstes Aufatmen: der Hirnstamm lässt auf dem Bild keine Schädigung erkennen – und zeitgleich mit dieser Nachricht öffnet er das rechte Auge! Auch das Gefühl zu beschreiben, ist schwer: eine Freude durchströmt einen, hatte ich mich fast schon an den Anblick des tiefschlafenden Menschen gewöhnt! Und in den nächsten Tagen kamen mehr Reaktionen: Hände und Beine bewegen sich, er versucht zu sprechen, kann es aber wegen der Trachealkanüle nicht – egal, er versucht es zumindest! Es geht zwei Schrittchen vor, einen Schritt zurück, so kann man es am besten beschreiben. Mir ist klar geworden, dass ich mich viel mehr an kleinen Dingen zu erfreuen versuchen sollte und dass ich geduldig werde mit mir, meinem Vater, dem Schicksal.
Das unberechenbare Leben
Ein Schlaganfall kann weitreichende Folgen haben, aber er lehrt einen auch etwas: das Gute, das gewesen ist, wertzuschätzen und sich an Dingen zu freuen, die vorher so selbstverständlich waren: ein Augenaufschlag oder ein Fingerdruck des geliebten Menschen. Ja, es wird immer wieder eine schwere Zeit kommen, und ja, es gibt immer Rückschläge, „Geduld“ ist das Zauberwort. Aber bei all dem Auf und Ab ist die Anteilnahme, die andere und die Familie einem unter solchen Umständen schenken, hilfreich und wohltuend, sodass man hoffnungsvoll in die Zukunft schaut. Denn nach jedem Schlechten wird auch wieder etwas Gutes folgen!