In sanftem Galopp durch taufrische Wiesen – eine Empfindung
Es gibt Situationen im Leben, die uns fast handlungsunfähig machen. Manchmal genügt es, eine Nacht darüber zu schlafen, um wieder klar denken und entscheiden zu können. Jeder wird da seine eigene Methode haben. Mir waren in besonders schwierigen Zeiten oft Pferde gute Berater – beim Ausritt ins Gelände, der nur gelingt, wenn beide sich ganz aufeinander einlassen und ich wieder Zeit für mich finde.
Entspannen und Lösungen finden
Es war ein Tag, an dem nichts lief wie geplant und dann das noch: Netzausfall, nichts ging mehr und ein wichtiger Kundentermin ist geplatzt. Ausgerechnet der mühsam aufgebaute Kontakt zu Herrn Ypsilon ist gefährdet. Wie viel Engagement hatte ich in diese Verbindung investiert und wie froh war das gesamte Team, dass wir den Kunden überzeugen konnten. Ein Auftrag, mit dem wir unser ganzes Können unter Beweis stellen wollten und der uns Vollbeschäftigung brachte.
Was ganz klar war: Es würde noch Stunden dauern, bis der Netzausfall behoben war. Der Abgabetermin war in zwei Tagen – das war kaum zu schaffen. Ich musste Ypsilon anrufen und um Verlängerung bitten. So unangenehm es war, daran führte kein Weg vorbei. Also rief ich an – und erfuhr, Ypsilon ist erst morgen Nachmittag zu erreichen. Das verschaffte mir eine Galgenfrist. Da fiel mir ein: morgen hatte ich eigentlich meinen freien Vormittag, den ich regelmäßig auf dem Hof mit meinem Pferd verbrachte. Ich überlegte kurz und entschied, daran nichts zu ändern.
Gedankenlos und frei
Nach einer unruhigen Nacht stand ich frühmorgens um halb sechs an der Box meiner Trakehner-Stute. Sie schien mich schon erwartet zu haben. Rundum nur Pferdegeräusche, der Duft von Heu und Erde. Ein idyllischer Ort, umzingelt von Wald und Wiesen – abseits der Stadt. Das erdet. Ich streiche über das weiche Fell meiner Stute, kraule sie hinter den Ohren und erzähle ihr beim Putzen, dass wir beide einen wunderschönen Ausritt vor uns haben. Pferde sind sehr stille Tiere, die alles aufnehmen, was rundum geschieht. Wer Pferde kennt, weiß, wie empfindsam sie sind. Sie spüren die Verfassung des Menschen, dem sie vertrauen. Wir beide kennen uns seit acht Jahren und sind ein verlässliches Team.
Ich sitze im Sattel, lasse die Zügel durchhängen und weiß, alles konzentriert sich jetzt nur auf das, was wir gemeinsam erleben. Meine Stute verlässt sich auf mich, vor keinem „Ungeheuer“ muss sie flüchten – und ich vertraue ihr. In diesem Gefühl hat nichts anderes Platz und das ist gut so.
Auf dem Waldweg empfängt uns das lautstarke Zwitschern der Vögel. Eichhörnchen springen von Ast zu Ast. Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch das üppige Blattwerk der Buchen und Eichen. In einer Lichtung grasen Rehe. Ich atme den Duft des Waldes, lasse mich von den ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen meiner Stute mitnehmen und genieße das Hier und Jetzt. Im zügigen Trab geht es durch den menschenleeren Wald hinauf zum Berg. Hier öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei über eine zauberhafte Landschaft mit saftigen Wiesen und Getreidefeldern. Im Tal fließt der Bach, der noch im Morgennebel verschwindet. Meine Stute weiß, was dann kommt und bläst geräuschvoll die Luft durch die Nüstern. Da unten ist unsere Galoppstrecke, die wir beide lieben.
Zeit für mich
Taufrisch liegen die gemähten Wiesen vor uns – nichts hindert uns daran sie zu durchqueren. Es braucht nur einen leichten Impuls und wir schweben darüber. Ich fühle mich wie ein Mensch mit vier Beinen – im Einklang mit meiner Stute, die kraftvoll ausholt und im Galopp kaum die Erde berührt. Am Ende der Strecke sind wir beide etwas außer Atem, ich lasse die Zügel aus der Hand gleiten und lobe meine Gute überschwänglich. Glücksgefühle durchströmen uns beide und wie neu geboren geht es nach Hause.
Der Tag darf kommen – mit all seinen Herausforderungen. Ich werde sie bewältigen.